Mit etwa 2500 Mitgliedern gehört »Shalom« nicht zu den großen jüdischen Dachverbänden Europas, aber zu den anspruchsvollen. Die Organisation betreibt einen Kindergarten, eine Schule, ein kleines Krankenhaus, bietet Veranstaltungen und koscheres Essen. Zudem werden Menschenrechtsorganisationen unterstützt, etwa solche, die sich für die Rechte der LGBTQ-Community oder gegen häusliche Gewalt einsetzen. Nach vielen erfolgreichen Jahren wurde es dennoch Zeit für einen Generationswechsel an der Spitze. Und mit Alina Levi wurde erstmals – und mit überwältigender Mehrheit – eine Frau ins höchste Amt gewählt.
Die Entscheidung, die Nominierung anzunehmen, habe sie sich nicht leicht gemacht, räumt die Präsidentin ein, die als Augenärztin an der Uniklinik in Sofia arbeitet und zwei Kinder hat. Letztlich aber habe ihre Begeisterung für die jüdische Gemeinschaft gesiegt. Seit dem Kindesalter nahm Levi an Shalom-Aktivitäten teil, wurde später Madricha und schließlich Vorstandsmitglied. Sie ist nicht nur die erste Frau in dieser Position, sondern auch die jüngste, die der Verband je hatte. Mit 35 Jahren sei sie so alt wie Shalom selbst, fügt sie fröhlich hinzu.
Voll jugendlichem Elan spricht sie über ihre Pläne: Wichtigstes Ziel sei zurzeit die Fertigstellung des Gemeindezentrums. Dort sollen der Kindergarten und die Schule, eine Bibliothek, Gemeinschaftsräume und Büros untergebracht werden. Die Arbeiten waren während der Corona-Pandemie und wegen der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs ins Stocken geraten. Auch in Bulgarien seien die Kosten enorm gestiegen. Doch dank einer großzügigen Spende der Lauder-Stiftung könne es nun weitergehen. »Höchste Zeit, denn die Schule platzt aus allen Nähten«, so Levi.
Komplexer in der Umsetzung ist Levis Ziel, die jüdische Identität im Land zu stärken. Denn so wie in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks wurde im Sozialismus auch hier religiöses Leben über Jahrzehnte unterdrückt. Das jüdische Selbstverständnis geriet in Vergessenheit. Heute komme das Jüdischsein aus der Community, vieles sei gelernt und nicht in Familientraditionen verwurzelt. »Unser Ziel ist, alles, was wir am jüdischen Leben so sehr schätzen, den kommenden Generationen so nahezubringen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird.«
»Die Gemeinde ist stark genug, um Herausforderungen zu bewältigen«
Bulgarien ist für Juden ein sicheres Land. Die Beziehungen zur Regierung seien gut und konstruktiv. Doch nach dem 7. Oktober 2023 gebe es auch hier antizionistischen Judenhass. Bösartige Online-Posts seien häufiger und gröber geworden, bis hin zu Drohungen. Gelegentlich fänden propalästinensische Demonstrationen statt, allerdings mit geringer Teilnehmerzahl, sagt Levi. Von Eskalationen habe sie bisher nicht gehört. Allerdings gebe es Parteien, die eine judenfeindliche Rhetorik verfolgen.
Doch von Anfeindungen lasse sie sich nicht beeindrucken, so die Präsidentin weiter. Ihre Gemeinschaft sei stark genug, um diese Herausforderungen bewältigen zu können. Aber die Sicherheitsmaßnahmen seien verstärkt und eine Meldestelle eingerichtet worden – wie anderswo auch. Entscheidend sei es, die persönliche Resilienz zu fördern. Dazu wurde unter anderem das Projekt »Elternbeistand« ins Leben gerufen, ein Kurs, in dem Eltern von Schul- und Kindergartenkindern Strategien lernen, um verbale Angriffe zu entschärfen und ihren Nachwuchs besser auf solche Situationen vorzubereiten.
Im Land leben geschätzt 5000 Juden. Die meisten sind bulgarisch, dazu kommen bis zu 20 aus der Ukraine geflüchtete Familien. Auch einige Israelis sind dabei, einer sitzt sogar im Vorstand von Shalom. Levi würde sich über weitere neue Mitglieder freuen. Shaloms Angebot sei schließlich groß.