Der neue Herrscher Syriens hat eine dunkle Vergangenheit. Ahmed al-Sharaa alias Abu Mohammad al-Jolani war Kommandeur von Al-Qaida und Chef der Terrororganisation Nusra-Front. Ein Dschihadist durch und durch. Er habe dem Terror abgeschworen, beteuert er heute, trägt Anzug mit Schlips und trifft sich mit Staatsoberhäuptern aus aller Welt. Im Mai schüttelte er in Saudi-Arabien die Hand von US-Präsident Donald Trump. Israel schaut währenddessen zu und scheint abzuwarten. Oder etwa nicht?
Nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad zerstörte Israel militärische Einrichtungen in Syrien, darunter mutmaßliche Chemiewaffenanlagen und Standorte von Langstreckenraketen. Man wolle verhindern, dass die Waffen Extremisten in die Hände fielen, erklärte die Regierung damals. Anschließend marschierten Einheiten der israelischen Armee in syrisches Gebiet ein und errichteten eine Sicherheitspufferzone entlang der Grenze auf den Golanhöhen. Offensichtlich war der Islamist Israel alles andere als geheuer.
Kopfgeld von zehn Millionen Dollar
Fast sechs Monate sind seitdem vergangen. Das Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Dollar, das die USA von 2018 bis Dezember 2024 auf al-Sharaa ausgesetzt hatten, ist aufgehoben, ebenso wie die Sanktionen gegen den Nahoststaat.
Trump erklärte, er habe sich nicht mit Israel über seine Entscheidung beraten, die neue syrische Regierung anzuerkennen. »Ich dachte, es wäre das Richtige. Ich habe dafür viel Anerkennung bekommen. Wir wollen, dass Syrien erfolgreich ist.« Trumps Treffen mit al-Sharaa war das erste zwischen einem US-amerikanischen und einem syrischen Staatschef seit einem Vierteljahrhundert. Es scheint gut gelaufen zu sein. Anschließend bezeichnete Trump al-Sharaa als »jungen, attraktiven Mann«. Ein »harter Kerl« mit »starker Vergangenheit. Sehr starker Vergangenheit. Ein Kämpfer«.
Israel würde al-Sharaas Werdegang kaum als »sehr stark« bezeichnen. Doch nur einen Tag später berichteten israelische Medien, dass sich Jerusalem längst in Geheimverhandlungen mit dem Nachbarn befinde. Syrien solle den Abraham-Abkommen beitreten, hieß es. Und Ahmed al-Sharaa – mittlerweile auf dem Präsidentensessel – soll bereits einer vorläufigen Vereinbarung zugestimmt haben.
Bereit für die Abraham-Abkommen
Angeblich bekundete er seine Bereitschaft, die Kernpunkte der Abraham-Abkommen zu übernehmen: gegenseitige Anerkennung der Souveränität, diplomatische Beziehungen, ein Ende der Feindseligkeiten und Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Sicherheit. Es sei eine Reaktion auf die »Beschleunigung regionaler Entwicklungen« und der »Wunsch, aus der Isolation auszubrechen und sich einer neuen Ära des Friedens und der Entwicklung zu öffnen«, erklärte der neue syrische Machthaber.
Die Abraham-Abkommen wurden 2020 ins Leben gerufen, als die Vereinigten Arabischen Emirate und das Königreich Bahrain durch die Vermittlung der USA die Beziehungen zu Israel normalisierten. Sudan und Marokko schlossen sich an. Die Abkommen schufen einen Rahmen für die regionale Zusammenarbeit in den Bereichen Diplomatie, Sicherheit und Wirtschaft – allerdings unabhängig von einer Lösung der Palästina-Frage.
Kommentatoren bezeichnen die Entwicklung zwischen den nahöstlichen Nachbarn als »diplomatisches Erdbeben«, schließlich war Syrien seit Jahrzehnten ein gefürchteter Feind Israels. Zudem hatten sich der Iran und die Hisbollah tief im Land eingenistet. Seit 2011 griff Israel deren Milizenstellungen regelmäßig an, um Waffen und Terrorinfrastruktur zu zerstören. Zwar sei es »überraschend, dass die Machtübernahme eines neuen, islamischen Regimes die Möglichkeit erneuter israelisch-syrischer Begegnungen eröffnet«, bemerkt Professor Elie Podeh vom Institut für Islam- und Nahoststudien an der Hebräischen Universität Jerusalem, beispiellos sei es jedoch nicht.
»Fast jeder Premier Israels hat im Geheimen den Rückzug vom Golan für Frieden erwogen.«
Elie Podeh
In einer umfassenden historischen Studie untersuchte der Historiker sieben Jahrzehnte der Bemühungen um Frieden. Unter dem Titel »Gespräche mit dem Feind: Geheime und öffentliche Begegnungen für Frieden zwischen Israel und Syrien (1948–2023)« beleuchtet die Arbeit die komplexe und oft übersehene Diplomatie, die hinter den Kulissen stattfand – trotz der anhaltenden Wahrnehmung von Israel und Syrien als erbitterte Feinde.
Die Annäherungen hätten schon früh begonnen: Lange vor der Gründung Israels hätten zionistische Führer mit syrischen Nationalisten verhandelt. Das Faisal-Weizmann-Abkommen (1919) und andere Kontakte vor 1948 zeugen von einer frühen Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die später von zunehmenden regionalen Spannungen übertönt wurde. Kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 hätten zwei syrische Militärführer ihre Fühler nach Frieden ausgestreckt, jedoch vergeblich.
Immer wieder Friedensversuche
Unter der Führung von Hafez al-Assad, dem Vater des verjagten Baschar, sei es zu den nachhaltigsten, wenn auch indirekten, Versuchen gekommen, einen formellen Frieden zu erreichen, weiß Podeh. »Die Gespräche nach der Madrider Konferenz von 1991 gipfelten in von den USA vermittelten Verhandlungen, darunter dem bemerkenswerten, aber letztlich erfolglosen Gipfeltreffen von Shepherdstown mit Premierminister Ehud Barak.«
Auch mit Baschar al-Assad habe es Diplomatie hinter verschlossenen Türen gegeben. Besonders bemerkenswert seien zwei Runden inoffizieller Verhandlungen gewesen, die zunächst von der Türkei und später von der Schweiz vermittelt wurden, so Podeh. Anfang 2011 hätten dann geheime Gespräche unter der Schirmherrschaft der USA beinahe zu einem Durchbruch geführt. Assad stimmte der vollständigen Entmilitarisierung, der Anerkennung Israels und einer strategischen Neuausrichtung seines Landes zu. Die Bemühungen wurden durch den Bürgerkrieg zunichtegemacht.
Die wiederholten Misserfolge führt Podeh nicht nur auf die Außenpolitik, sondern auch auf strukturelle Barrieren zurück, etwa »Legitimitätslücken in der Führung, die oft mutige oder riskante Schritte verhindert haben«. Dazu seien Territorialstreitigkeiten gekommen, insbesondere über die nicht definierten Grenzen von 1967 und den Zugang zum Kinneret.
»Besser ein kalter Frieden als ein heißer Krieg«
»Auch das tiefe gegenseitige Misstrauen und der Prozess der Verfeindung, also die tief verwurzelte psychologische und soziale Wahrnehmung des anderen als permanenter Widersacher, spielt eine bedeutende Rolle«, resümiert Podeh. »So gibt es auf beiden Seiten eine mangelnde gesellschaftliche Unterstützung für Frieden.« Dennoch, betont der Forscher, habe fast jeder israelische Premierminister seit Yitzhak Rabin im Geheimen einen Rückzug von den Golanhöhen im Austausch für Frieden in Erwägung gezogen.
Während sich die israelische Regierung offiziell bisher bedeckt hält, was die Beziehungen mit dem Nachbarn im Allgemeinen und al-Sharaa im Besonderen angeht, ließ Premierminister Benjamin Netanjahu Ende April etwas anklingen, das durchaus als Wink in Richtung Syrien gewertet werden darf: »Besser ein kalter Frieden als ein heißer Krieg.«