Jerusalem

Konferenz in heiklen Zeiten

Seit März hat Israel die Präsidentschaft der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) inne. In Jerusalem lud Gideon Sa’ar in diesem Rahmen am Mittwoch zu einer Konferenz zum Thema Antisemitismusbekämpfung ein.

Gleich zu Beginn griff der Außenminister die lauter werdende Forderung nach einem Waffenembargo gegen Israel auf. »Wenn diese Maßnahme umgesetzt wird, wird Israel einfach zerstört«, so Sa’ar. »Es wäre ein weiterer Holocaust«, warnte er vor Hunderten Gästen in seinem Ministerium.

»Wir leben in einer Zeit, in der die uralte Bestrebung, das jüdische Volk zu eliminieren, stärker geworden ist«, sagte Sa’ar. Es gebe immer weniger Zeitzeugen. »Die Rolle der IHRA bei der Sicherung und Weitergabe der Lehren des Holocaust ist damit wichtiger denn je.« Minister und Vizeminister sowie Vertreter jüdischer Organisationen aus zahlreichen Ländern hörten zu, darunter Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Botmann sprach im Plenum ein weiterhin bestehendes Problem mit der IHRA-Definition von Antisemitismus an. Zwar sei diese von vielen Staaten anerkannt worden, sei aber in der Regel noch nicht rechtsverbindlich. »Wir müssen sicherstellen, dass Justiz, Sicherheitsbehörden und alle anderen staatlichen Institutionen die Definition verbindlich anwenden. Sie sollte keine Empfehlung bleiben, sondern Rechtskraft erlangen. Dies würde auch ein klares Ende der Jerusalemer Erklärung ermöglichen.«

Auch plädierte Daniel Botmann für Schulungen von Staatsanwälten und Richtern, damit diese verstünden, was Antisemitismus ist. »Selbst in Ländern, die die IHRA-Definition übernommen haben, werden viele antisemitische Straftaten in Gerichtsurteilen immer noch nicht als antisemitisch anerkannt.«

Dämonisierung und Lügen

Begonnen hatte die IHRA-Konferenz am Dienstagabend mit Reden ranghoher Gäste, darunter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Auch er warnte vor dem wieder erstarkenden Judenhass in der Welt und hatte eine klare Botschaft: »Erliegt nicht der Dämonisierung. Erliegt nicht den Lügen. Habt keine Angst davor, zu widersprechen. Widersprecht. Verteidigt die Wahrheit. Verteidigt das jüdische Volk.«

Die schlimmste Form des Antisemitismus sah die Welt am 7. Oktober 2023, als die Hamas und palästinensische Zivilisten Massaker in Israel verübten und Hunderte Menschen verschleppten, von denen 600 Tage später weiterhin 58 in Gaza festgehalten werden. Währenddessen nimmt die Kritik aus Europa an Israel zu. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kritisierte zuletzt die israelische Kriegsführung in Gaza scharf.

Der Vertreter der Bundesrepublik bei der Antisemitismuskonferenz, Staatsminister Florian Hahn (CSU), glaubt, »dass es unter Freunden legitim ist, wenn man auch Kritik äußert.« Gegenüber der Jüdischen Allgemeinen erklärte er: »Es geht nicht darum, dass Israel selbstverständlich die Hamas bekämpft und natürlich einen Grund dafür hat.«

Verlorener Rückhalt

»Die Frage ist, ob die Art und Weise wirklich überzeugend ist, mit Blick auf die Zivilbevölkerung in Gaza«, so Hahn. »Diese wird von der Hamas als lebender Schutzschild benutzt, keine Frage. Aber wir sehen, dass unsere israelischen Freunde international den Rückhalt verlieren. 600 Tage lang ist es nicht gelungen, die Hamas zu besiegen. Die Frage ist deshalb, ob das Vorgehen in dieser Form der richtige Weg ist.«

Einen neuen Weg haben europäische Regierungen bisher nicht aufgezeigt. Forderungen nach einem Waffenembargo sind aus israelischer Sicht nicht geeignet, die Gefahr zu bannen, den der Hamas-Terror für das Land darstellt.

Zwischen Amerika und Israel mag es kleinere Meinungsverschiedenheiten geben. Außenminister Marco Rubio, der sich in einer Videoansprache an die Konferenzteilnehmer wandte, hob sich aber von seinen europäischen Kollegen ab, indem er davon absah, Israels Vorgehen gegen den Terror anzuprangern. Stattdessen verurteilte er den Terror selbst.

Tod und Zerstörung

Rubio sagte, der Attentäter, der vergangene Woche in Washington zwei junge Mitarbeiter der israelischen Botschaft ermordete, habe bei seiner Verhaftung »Free Palestine!« gerufen. Dies sei der Schlachtruf für den Tod von Juden und die Zerstörung Israels, so Rubio.

Der US-Außenminister stellte klar: »Diejenigen, die nach einem Boykott Israels rufen, fordern einen Boykott unserer jüdischen Nachbarn und Kommilitonen. Diejenigen, die nach Gewalt gegen Israelis rufen, fordern Gewalt gegen Juden. Diejenigen, die nach einer Vernichtung Israels rufen, fordern eine Vernichtung des jüdischen Volkes.« Gegen diese Ideologie des Hasses, die Rubio mit der Adolf Hitlers verglich, müsse entschieden vorgegangen werden.

Am Mittwochnachmittag kam auch Isaac Herzog zur Konferenz. Die IHRA, so der Präsident Israels, stelle ein wichtiges Werkzeug gegen »das uralte Gift, die uralte Krankheit des Antisemitismus« dar.

Genozidal und jihadistisch

Herzog übte indirekt Kritik an den jüngsten Äußerungen einiger europäischer Regierungen zum Krieg in Gaza. Die Hamas sei eine genozidale, jihadistische Organisation, die von Teheran unterstützt werde und hart bekämpft werden müsse. Dem Präsidenten zufolge interpretieren Isarels Feinde die offen geführte Diskussionen über das Vorgehen im andauernden Krieg als Schwäche. Herzog empfahl den Kritikern, vor allem eine Freilassung der Geiseln zu fordern.

Anschließend berichteten Vertreter osteuropäischer und anderer Staaten, wie sie gegen Judenhass vorgehen. Während die meisten bei Bildung und Aufklärung ansetzen, beschwerte sich der ungarische Entsandte darüber, dass sein Land täglich 1 Million Euro Strafe an die EU zahlen müsse, da es entschieden gegen die Migration vorgehe. So würden aber Erfolge gegen Antisemitismus erzielt.

Im März hatte bereits Amichai Chikli, Israels Minister für Diasporaangelegenheiten, eine große Konferenz zum Thema Antisemitismus organisiert. Die wichtigsten Teilnehmer sagten ihre Teilnahme jedoch ab, darunter Präsident Herzog. Der Grund: Der rechtskonservative Likud-Politiker hatte Vertreter rechter Parteien eingeladen, die sich nicht immer eindeutig von Antisemitismus distanziert hatten. 

Zentrale Lehren

Die IHRA-Konferenz von Außenminister Sa’ar hatte mit diesem gescheiterten Versuch wenig zu tun, reparierte aber dennoch einen Teil des Schadens, der durch den Skandal entstanden war.

Eindrucksvoll war eine Gedenkzeremonie für die sechs Millionen jüdischen Opfer der Schoa in Yad Vashem, der viele Konferenzteilnehmer beiwohnten. Der Vorsitzende der offiziellen Gedenkstätte, Dani Dayan, erklärte hinterher, er werde immer wieder gefragt, welche die zentralen Lehren des Holocaust seien.

Seine Antwort: die existenzielle Notwendigkeit eines unabhängigen, jüdischen Staates. Israel sei nicht wegen, sondern trotz des Holocausts gegründet worden. Das Land stelle die Garantie dafür dar, dass Juden nicht mehr um ihre Verteidigung betteln müssten, sondern selbst dafür sorgen könnten.

Flache Klischees

Dayan sagte, wenn ausländische Minister nach Yad Vashem kämen und vom bekannten »Nie wieder« sprächen, wende er stets einen Litmustest an, um zu ergründen, ob sich die Besucher nur in »flachen Klischees« übten: Haben sie in ihren Ländern einen handfesten Plan gegen Judenhass implementiert? »Wenn dies der Fall ist, sind sie höchstwahrscheinlich ehrlich.«

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